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Eigentlich hatte es ja ein richtiges Drama werden sollen. Gut inszenierter Königsmord unter dem Schlachtruf "Nieder mit der neuen Rechtschreibung! Rettet die deutsche Kultur!". Doch dann wurde nur ein Sommerspektakel daraus: Die eine Zeitung serviert der überraschten Öffentlichkeit eine Serie erfundener Neuigkeiten, eine andere fällt auf den Bluff herein, schafft Tatsachen, kehrt zur alten Schreibung zurück. Und steht allein.
Was bleibt, ist das bekannte Hickhack: Emotionen anstelle rationaler Argumente. Je weniger Sachkenntnis in die Waagschale zu werfen ist, desto krasser die verbalen Entgleisungen. Das neue amtliche Regelwerk, in einem jahrzehntelangen Prozess von Wissenschaftlern mehrerer Staaten im Auftrage ihrer Regierungen erarbeitet, wird dann als "ein Machwerk weltfremder finsterer Gesellen" bezeichnet, als "eine haarsträubende Entstellung", hinter der "Monster" stecken.
Und wenn ein Schriftsteller, der es nicht nötig hätte, gestattet, "den größten Unsinn" über sich zu publizieren, "wenn es nur in der alten Rechtschreibung gedruckt" werde, dann zeigt das nur, wie sehr doch mitunter der Bauch über den Kopf zu triumphieren vermag.
Aber lassen wir das. Es sind Töne, die wir zur Genüge kennen. Sie waren so und nicht anders schon zu hören, als es ums Zustandebringen eben jener Orthografie ging, die manche heute mit Zähnen und Klauen verteidigen. Übrigens ohne die Widersprüchlichkeiten zu kennen, deren Zurückdrängung eben das Anliegen dieser Neuregelung ist. Da wird zum Beispiel immer wieder die Forderung laut, die Schreibung müsse Bedeutungsunterschiede deutlich machen, "sitzen bleiben" (auf dem Stuhl) sei eben nun mal nicht "sitzenbleiben" (in der Schule).
Doch gibt es auch nach der alten Orthografie keinen grafischen Unterschied zu "sitzenbleiben" im Sinne von 'keinen Mann kriegen', ganz abgesehen davon, dass die gesprochene Sprache hier eine Differenzierung gar nicht kennt. Und der alten Schreibung galt es auch einerlei, ob nun eine Tür oder eine Frage "offengelassen" wurde oder ob man jemandem die Hölle oder nur eine Suppe "heiß machen" wollte.
Weil die Schreibung der meisten Wörter schlicht auswendig gelernt werden musste - "sein Zimmer sauberhalten", aber "sein Zimmer rein halten", "einen Draht krumm biegen", aber "einen Draht geradebiegen" und so weiter -, war die "Trefferquote" wenig befriedigend. Hier hat die neue Regelung ganz klar Abhilfe geschaffen. Und nur wer sich nicht damit abfinden kann, dass Rechtschreibregeln Hilfsmittel sind, um die gesprochene Sprache schreibbar und die Schreibung handhabbar zu machen, wird sich darüber aufregen, dass es immer wieder Grenzfälle gibt, die sich einer klaren Regelung entziehen. Derartige Zuordnungsdiskussionen werden stets nur anhand bestimmter Einzelfälle geführt und können wohl niemals zur vollen Zufriedenheit aller geklärt werden.
Ganz und gar außerhalb aller Diskussionen aber sollten Beispiele bleiben, wie sie immer wieder genannt werden, um die neue Regelung zu diffamieren, die aber entweder klare Fehlleistungen (von Menschen oder Computern) oder aber mutwillige Erfindungen sind. Trennungen wie "Ei-nöde" statt "Ein-öde", "best-raft" statt "be-straft" oder "Mül-leimer" statt "Müll-eimer" und "Misss-tand" statt "Miss-stand" (alle in der Polemik belegt) können der Neuregelung ebenso wenig angelastet werden wie "Gast frei" statt "gastfrei" und ähnliche Konstrukte.
Nun kehrt eine unserer Zeitungen just zu einem Zeitpunkt zur alten Schreibung zurück, da in den Wörterbüchern zunächst aufgetretene Zweifelsfälle kaum noch vorhanden sind. Bereits Anfang 1999 hatte der Bertelsmann-Verlag seine "Deutsche Rechtschreibung" in einer überarbeiteten Ausgabe vorgelegt. Nun schickt sich auch der Rechtschreibduden an, in seiner bald erscheinenden neuen Auflage Fehlinterpretationen zu korrigieren - ein Vorgang übrigens, der zur lexikografischen Normalität gehört und einhergeht mit der Arbeit der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, zu deren Aufgaben ausdrücklich die fortgesetzte Klarstellung von Zweifelsfällen gehört und von ihr in Zusammenarbeit mit Lexikografen, Didaktikern und Schreibpraktikern geleistet wird. Im Ergebnis werden unsere Wörterbücher in einem noch höheren Maße, als das bereits der Fall ist, einheitlich Auskunft in orthografischen Fragen geben.
Es ist daher umso bedauerlicher, dass eine unserer Zeitungen dem Gerede von mehreren nebeneinander existierenden Orthografien in Deutschland Glauben geschenkt hat. Das angebliche Chaos, dem sie mit ihrem Rück-Schritt zur alten Schreibung zu begegnen vorgibt, provoziert sie damit erst. Die neue Schreibung, die nichts weiter als die behutsam korrigierte und im Sinne unserer Schreibtradition fortentwickelte alte Schreibung ist, ist bereits Realität - eine Realität freilich, an die sich mancher erst noch gewöhnen muss.
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Dr. Klaus Heller <heller@ids-mannheim.de> |